Vom besonderen Wert des Fragen stellen

Üben heißt, Fragen zu finden

(Lesezeit: 04:45 Min.)

Warum übst du? Weil du dein Stück richtig gut spielen willst? Das willst du auch im Unterricht zeigen und dein Stück so gut wie möglich vorspielen. Ist das dein Übe-Ziel? Ist da nicht auch ein gewisser Stress dabei? Als wohlwollender Lehrer denke ich: super, dass du ein Ziel beim Üben hattest. Und ich freue mich natürlich, dass du geübt hast.

Jetzt kann ich dich darauf hinweisen, worauf du achten solltest. Oder gar, was du schlecht gemacht hast. Das ist für mich natürlich eine tolle Position, die so auch von den meisten Schülern erwartet wird. Schließlich bist du bei mir, um zu erfahren, was noch nicht klappt und was du als nächstes tun musst.

Du „musst“ als nächstes nur eines tun: diese Einstellung ändern! Denn damit handelst du nicht wirklich eigenverantwortlich. Ehrlich gesagt, für mich ist es das Leichteste, mit dir genau so umzugehen: mit über 25 Jahren Unterrichtserfahrung kenne ich natürlich genau die traditionelle Arbeitsweise der Vermittlung vom Meister zum Schüler und weiß, was du tun „musst.“

 
Doch ich will mehr von dir: ich brauche eine Frage von dir!

Warum übst du? Genau, um Fragen zu finden. Ich bin dafür der beste Ansprechpartner für dich. Das ist dann auch für mich die größere Herausforderung, denn ich lasse mich dadurch von dir führen. Ich muss auf deine Frage eingehen und kann dir nicht vorschreiben, wie es zu laufen hat. Nutze diese Chance!

Warum ist eine Frage das viel größere Übe-Ziel als so gut wie möglich zu spielen? Indem du für die schwierigen Stellen eine Frage formulierst, können wir zusammen nach der besten Lösung suchen. Mein Input kommt viel besser an, weil du offen für Neues bist. Du bist nicht „fest“, weil du mit allen Mitteln eine Lösung bieten wolltest und dabei immer weniger auf die Hindernisse geachtet hast. 

Auch die Verzweiflung, dass etwas wieder nicht klappt, kannst du so überwinden, denn du „musst“ ja nichts Fertiges abliefern. (Besonders dramatisch wird der Zwang des Ablieferns, wenn du versuchst, zu erraten, was dein:e Lehrer:in hören will.) Vielmehr solltest du vielleicht zu dieser Frage gelangen: „Woran liegt es?“ Wenn du bei dieser Frage angekommen bist, kannst du dich auch einfach einer anderen Stelle zuwenden, einem anderen Stück oder den Geschmeidigkeitsübungen und kommst auf diese Weise weiter. Das motiviert.

 

 

  • Die richtigen Fragen zu stellen, ist eine große Kunst.
  • Auf Fragen empathisch zu antworten, ist magisch. 
  • Von Fragen der anderen zu lernen, gibt dir exponentielle Ergebnisse.

(Max Frankl, Coach, Musiker und Musiklehrer)

 

 

Wo bleibt dabei die eigene musikalische Persönlichkeit?

Wie jedoch kannst du so deinen eigenen Stil, deinen authentischen Ausdruck, deine musikalische Persönlichkeit ausbilden, wenn du mit einer Frage abschließt, statt eine eigene Lösung anzubieten?

Für mich als Lehrer gehören Offenheit und Neugierde zu den wichtigsten Arbeitsgrundlagen einer erfolgreichen Unterrichtsstunde. Eine Frage zu suchen geht sogar noch weiter: Du bist aktiver. Du wartest nicht darauf, dass ich als Lehrer „den Karren aus dem Dreck ziehe“, sondern legst schon mal das Seil an, an dem wir zusammen ziehen können. 

Und du bist aktiver mit allen Sinnen! Wieso das? Wie kommst du auf eine Frage? Indem du genau hinschaust, hinhörst und nachspürst.

Schon bevor du mit dem Spielen beginnst, schaust du dir das Notenblatt ganz genau an. Da stehen bestimmt einige Zeichen oder Begriffe, die Fragen aufwerfen. Diese Fragen lassen sich meist schnell über eine kurze Recherche im Internet oder einen Post in der Community „my saxophone class“ klären. Dazu musst du nicht bis zur nächsten Unterrichtsstunde warten, um Näheres über das Stück herauszufinden und eine bessere Vorstellung davon zu bekommen.

Achte auf jedes diffuse Gefühl, irgendetwas sei komisch. Versuche, einzugrenzen, wo dieses Gefühl am stärksten erscheint. Da schaust du erst einmal genau hin. Dann fällt dir eventuell auf, dass es ein Vorzeichen gibt, oder du Haus 1 und Haus 2 übersehen hast, oder etwas anderes.

Höre genau hin. Dann kannst du die „komische“ Stelle besser lokalisieren. Wo holpert es am meisten? Jetzt kann schon eine Frage an mich entstehen. Auch die lässt sich vielleicht direkt in der Community klären, etwa mit einem Foto oder einem kurzen Video der betreffenden Stelle.

Höre auch auf deinen Klang. Sei streng: der richtige Ton reicht nicht. Klingt es leicht und geschmeidig? Wo klingt es gequetscht oder quietscht sogar? Wenn du daraus ein Frage entwickeln kannst, statt an dieser Stelle zu verzweifeln, bist du schon weiter.

Und schließlich: spüre an diesen holprigen oder eckigen Stellen nach, wie es sich in deinem Körper anfühlt: Warum ist der Sprung nicht sauber? Wie bewegen sich meine Finger? Warum springt der Ton nicht an? Nutze ich meine Resonanzräume? Warum bricht der Ton ab? Spüre ich meinen Luftstrom? Wie stehe ich da? Bin ich aufrecht? So führen dich Fragen weiter. Sollte es nicht weitergehen, kommst du vielleicht mit der Frage zu mir: „Warum ist das so?“

Damit kommen wir zur oben gestellten Frage nach der Ausbildung deiner musikalischen Persönlichkeit zurück: Wie erfolgreich können hierbei Offenheit und Neugierde, praktiziert durch Hinschauen, Hinhören und Nachspüren sein? Oben habe ich beschrieben, dass du aktiv mit allen Sinnen, deinen eigenen Sinnen, bist. Das IST deine musikalische Persönlichkeit. 

Womöglich wirst du bestätigen, dass eine Frage zu stellen schwieriger sein kann, als eine (schnelle) Lösung zu präsentieren. Deshalb ist das auch der Weg zu einem authentischen musikalischen Ausdruck. 

Bist du offen, dann lernst du im FLOW. Im Fluß lernend entwickelst du deine musikalische Persönlichkeit.

guest
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments